300 Millionen Becquerel pro Liter alleine an Jod 131. Diese hohe Radioaktivität wurde laut Medienberichten von TEPCO vergangenes Wochenende im Meerwasser in der Nähe des durch Erdbeben und Tsunami schwer beschädigten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi gemessen, wohl in unmittelbarer Nähe zu einer Stelle, an der kontaminiertes Wasser ins Meer läuft. Trinkt ein Erwachsener einen Liter dieses Wassers, reicht das darin enthaltene Jod, um die gefährliche Strahlenkrankheit hervorzurufen und alles Gewebe rund um die Schilddrüse, in der sich im menschlichen Körper das Jod konzentriert, zu verbrennen. Überlebt er dank guter medizinischer Behandlung, ist sein Krebsrisiko deutlich erhöht.
Eine der Quellen, von denen aus noch höher kontaminiertes Wasser ins Meer lief, dass dann die genannten hohen Werte im Meerwasser hervorrufen konnte, war ein Loch in einem Kanalschacht unterhalb von Reaktorgebäude 2. Dieses Loch konnte gestern nach Betreiberangaben mit Flüssigglas verfüllt und abgedichtet werden. Es ist aber wahrscheinlich, dass weitere vergleichbare Löcher klaffen. Die Keller der Turbinengebäude und die Kabelschächte sind nicht dafür ausgelegt, zu einem überdimensionalem Schwimmbecken umfunktioniert zu werden.
Nun zerfällt Jod-131 mit einer Halbwertszeit von acht Tagen. Vom zum Zeitpunkt des Erdbebens und der Schnellabschaltung in der Anlage vorhandenen Jod-131 sind bereits 90 Prozent zerfallen! Dass dennoch immer höhere Messwerte veröffentlicht werden, zeigt die bereits von mir kommentierten Probleme des von den Fukushima-Betreibern gewählten nassen Einschlusses: Das tonnenweise ins Gebäude gepumpte Kühlwasser steht in direktem Kontakt mit zerstörten Brennelementen und löst dort radioaktive Spaltprodukte heraus. Wenn das Wasser später verdampft, im Grundwasser versickert und/oder ins Meer läuft, nimmt es die Spaltprodukte mit.
Neben Jod-131 werden auf diesem Weg auch Cäsium-134 (Halbwertszeit ca. zwei Jahre) und Cäsium-137 (Halbwertszeit ca. dreißig Jahre) freigesetzt. Deren Aktivität ist laut den von TEPCO veröffentlichten Meerwasser-Messwerten in Summe fast so hoch wie die Aktivität von Jod-131. Zwar konzentiert sich Cäsium nicht so stark wie Jod im Körper, dafür bleibt es statt für einige Wochen auf Jahre hinaus gefährlich. Immerhin ist TEPCO inzwischen so offen, nicht nur Jod-, sondern auch Cäsium-Messwerte überhaupt zu veröffentlichen.
Geht man für das Wasser innerhalb der Anlage von einem durchschnittlichen Cäsium-137-Gehalt von 1 Milliarde Becquerel pro Liter aus (das Wasser in Block 2 ist noch stärker belastet), ergibt sich angesichts der Wassermassen von (mindestens) 10 000 Tonnen eine Gesamtmenge von 3&bsp;Kilogramm Cäsium-137, die darin gelöst sind. In den ca. 1 000 Tonnen Brennelementen aus den Reaktorkernen 1 bis 3 und den Abklingbecken 3 und 4 sind, je nach Abbrand, sogar bis zu einer Tonne Cäsium-137 enthalten.
Aus Tschernobyl wurden ca. 28 Kilogramm Cäsium-137 freigesetzt. Dieses Zahl ergibt sich auf Basis der in vielen Quellen zitierten geschätzten Freisetzung von 89 PBq). Würde das in den Kellern der Anlage von Fukushima schwappende Wasser ins Meer laufen, ergäbe sich somit eine Freisetzung von ca. 10 Prozent der von Tschernobyl. Sind es sogar die von Medien zitierten 60 000 Tonnen Wasser mit der genannten hohen Belastung, dann ergeben sich sogar 60 Prozent der Werte von Tschernobyl.
Hinzu kommt die Freisetzung an die Luft, die in Fukushima in den ersten Tagen sogar absichtlich erfolgte, um ein Versagen von Reaktordruckbehälter und Containment zu verhindern. Hiervon wurde das meiste aufs Meer geweht.
Für die Fische an der Ostküste Japans ist das sogar eine gute Nachricht: Zwar ist die Radioaktivität definitiv eine zusätzliche Belastung für deren Gesundheit. Genau dadurch entfällt aber der wichtigste Fressfeind, der Mensch, denn niemand möchte radioaktiv kontaminierten Fisch.
Der aktuelle Plan in Fukushima ist wohl, gut 10 000 Tonnen schwach belastetes Wasser aus Lagerbecken für radioaktives Abwasser ins Meer zu pumpen, um damit Platz für das wesentlich stärker belastete Wasser aus den Kellern der Turbinengebäude zu schaffen. Grundsätzlich erscheint das sinnvoll, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Lagerbecken voll sind und dann abermals die Keller volllaufen. Spätestens in ein paar Wochen muss TEPCO daher einen Kreislauf installieren: Das Wasser, dass aus den Reaktoren rausläuft, muss auch das Wasser sein, dass in diese zurückgepresst wird.
Damit die Cäsium-Belastung des Kreislauf-Wassers durch den wiederholten Kontakt mit dem kaputten Reaktorkern nicht immer weiter steigt, müssen spätestens nach einer weiteren Wartezeit von einigen Monaten geeignete Filter installiert werden. Problematisch hieran ist, dass sich die Radioaktivität in den Filtern nochmals konzentriert, so dass deren Tausch vollkommen automatisiert erfolgen wird müssen.
Ebenso ist es grundsätzlich sinnvoll, dass TEPCO ein großes Floß zur Aufnahme radioaktiv verseuchten Wassers an der Anlage festmachen will. Weniger sinnvoll erscheint es, dafür ein Schiff zu nehmen, das erst in einer Werft umgebaut werden muss. Ein alter Öltanker, der ansonsten eh in den nächsten Monaten ausrangiert worden wäre, sollte auch ohne Umbaumaßnahmen geeignet sein, und würde zugleich mehr Platz bieten. Allerdings könnte es das Problem geben, dass die Küste vor Fukushima zu flach ist, und niemand will eine Supertanker-Havarie mit einem mit radioaktivem Wasser vollgepumptem Supertanker. Andererseits sieht das in vielen Medien gezeigte Floß auch nicht gerade hochseefest aus.
Am 07.04.2011 von TEPCO veröffentlichte Messwerte der radioaktiven Belastung des Meerwassers vor der Reaktoranlage von Fukushima Daiichi zeigen ein uneinheitliches Bild: Einige Werte sind gesunken, andere gestiegen. Die Summe aller Werte ist in etwa gleich geblieben. Dies lässt schließen, dass das per Flüsigglas verschlossene Leck nur einen kleinen Teil des radioaktiven Gesamteintrags ausgemacht hat. Denn sobald das letzte Leck gestopft ist, sollte die radioaktive Belastung des Meerwassers schnell zurückgehen, da sich das besonders stark kontaminierte Wasser vor der Anlage mit noch unkontaminierten Wasser mischt, das von Meeresströmungen herangetragen wird.
Von Anfang bis Ende April sind die von TEPCO veröffentlichten Messwerte für radioaktives Cäsium-134 und Cäsium-137 von in der Nähe der Anlage genommenen Proben um den Faktor 10 bis 100 zurückgegangen. Seitdem fallen sie aber nur langsam weiter, was für ein weiteres, jedoch im Vergleich zu dem mit Flüsigglas verschlossenen deutlich kleineres Leck spricht.
06.04.2011 13:30 Uhr
Update: 08.04.2011 12:00
Update: 22.05.2011 20:00